Donnerstag, 14. November 2024
65 Kubikmeter Luft für eine Hundertjährige
Was schenkt man der Königin der Instrumente, einer Orgel, zum 100. Geburtstag? Genügend Luft ist sicher eine gute Wahl, das wusste schon Johann Sebastian Bach.
Vor genau 100 Jahren am 26.10.1924 wurde die große Orgel in der Marienkirche in Landau feierlich eingeweiht. Von Fachleuten zunächst mit Argwohn betrachtet, wegen ihrer elektrischen Traktur, übersteht das Instrument den zweiten Weltkrieg mit Blessuren. Nach Renovierung, Reduzierung und mehreren Modernisierungen in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts ist die Orgel nun im nahezu originalen Zustand wiederhergestellt. Ein Orgel-Kleinod von europäischem Spitzenformat steht in der Pfalz.
Wie im Brennglas zeigt sich die Vielfältigkeit des Instruments an seinem Jubiläumswochenende. Die Gemeinde der Marienkirche schenkt sich und der interessierten Zuhörerschaft eine Konzertreihe, die am Samstag, dem 26.10.2024 mit dem Auftritt des Speyrer Domorganisten Markus Eichenlaub endet.
Medial sind Konzerte und Gottesdienste in der Marienkirche Landau auf absolutem Spitzenniveau. Die Konzertbesucher erhalten auf der großen Leinwand im Altarraum live Einblicke in das Innenleben der Orgel und können dem Organisten direkt auf die Finger bzw. Füße schauen. So sieht die erstaunte Zuhörerschaft Markus Eichenlaub auf der Empore dieses Mal ganz alleine mit seinem Instrument. Niemand blättert die Noten um oder hilft bei Registerwechseln. Der Künstler verrät uns den Kniff: mit einer kleinen Gesichtsgeste blättert er auf dem Pad, welches mittlerweile die Noten enthält, auf die nächste Seite. Alle Registerwechsel kann er selbst während des Spiels direkt am Spieltisch abrufen. Die dazu unerlässliche akribische Vorbereitung bleibt den Zuhörern verborgen. Ca. 20 Stunden dauerte die Vorbereitung der Registration und deren Programmierung in 750 Kombinationen. Das alles zusammen ermöglicht virtuose Orgelmusik auf höchstem Niveau.
In einer feinsinnig gesetzten Werkauswahl zeichnet Markus Eichenlaub einen atemberaubenden Weg durch die Vielfalt des Instruments und seiner Spielliteratur. Mit dem Carillon da festa „Happy Brithday“ beginnt sein Rundgang durch die Orgelmusik. Neben einem der intensivste Werke Bachs, der Chaconne d-Moll in einer Bearbeitung für die Orgel, erklingen besinnliche, meditative Momente: Percy William Whitlock, Folk Tune und Max Reger, Ave Maria. Es klingt, als ob die Vögel wirklich im großen Kirchenraum sind in Marco Enrico Bossi, „Gespräch mit den Schwalben“.
Das Pfeifenwerk tanzt und brilliert bis hin zu Höhepunkten virtuoser Orgelliteratur in der Rumba sur le grand jeux von Pierre Cholley und im fantastischen Scherzo aus Charles Maria Widors 4. Orgelsinfonie.
Im abschließenden Zyklus von acht kurzen Stücken von Sigfrid Karg-Elert präsentiert Markus Eichenlaub nochmals wie in einem Kaleidoskop die klangliche Vielfalt dieser Orgel mit ihren 72 Registern und drei Manualen.
Am Ende dieses spektakulären Jubiläumskonzertes wird der Künstler mit stehenden Ovationen, jedoch nicht ohne Zugabe, der Humoresque von Pietro Yon, entlassen.
Bereits am nächsten Morgen versammeln sich die Menschen in großer Runde wieder um ihre Orgel, dieses Mal, um sie in ihrem liturgischen Rahmen zu erleben. Den Festgottesdienst feiern musikalisch mit der Gemeinde der Chorklang St. Ingbert unter Leitung von Christian v. Blohn und Horst Christill an der Orgel. Sie bringen die Missa in D-Dur von Antonin Dvorak zu Gehör. Nun in ihrem angestammten liturgischen Element, zeigt die Marienkirchenorgel wie gut ihre Klangfarben mit dem Chorgesang des Dvorak verschmelzen. Im mächtigen Schlusslied der Gemeinde „Großer Gott“, grandios begleitet vom Organist Horst Christill, in dem wortwörtlich nochmals alle Register gezogen werden, zeigt sich wie ideal die Intonation des Instruments auf den Raum abgestimmt ist. Auch in größter Lautstärke klingt die Orgel immer angenehm und lässt genug Raum für den Gesang der Gemeinde. Zusammen mit dem neuen Lichtkreuz im Altarraum und dessen subtiler Beleuchtung entstehen immer wieder neue Klang- und Raumerlebnisse.
Ihren „richtigen langanhaltenden Atem“ hat das große Instrument erst 2024 wieder, so Dekan Axel Brecht. Am Tag vor dem Jubiläumskonzert wird die originale Windmaschine - gründlich renoviert – erstmals nach jahrzehntelangem Schweigen wieder zugeschaltet. Mit 65 Kubikmeter Luft in der Minute sorgt der zusätzliche Motor für Stabilität in jeder spielerischen Situation des Orgelwerks. Mit neuer, noch nie da gewesener mächtiger Klangfülle macht sich das Instrument auf den Weg in das begonnene 21. Jahrhundert. Möge die Steinmeyer-Orgel klingen, ad maiorem dei gloriam, und unser Leben und das kommender Generationen begleiten, so wie sie es die vergangenen 100 Jahre stets getan hat.
Text: Dr. Markus Kiefer
Bilder: Pfarrei Mariä Himmelfahrt, Benedikt Ockel