Sonntag, 28. Juli 2024

Schmierereien an Marienkirche

Schmiererei an der Marienkirche

In der Nacht vom 24. auf den 25. Juli 2024 wurde das Portal der Marienkirche in Landau mit dem Schriftzug „Kein Gott Kein Staat“ beschmiert.

Die Pfarrei Mariä Himmelfahrt Landau hat wegen des Graffitis bereits Strafanzeige gestellt und prüft jetzt die sachgerechte Entfernung. Wir bitten darum, sachdienliche Hinweise an die Pfarrei (Tel. 06341/9 68 98-0) und an die zuständige Polizeidienststelle in Landau (per E-Mail an pilandau@polizei.rlp.de oder telefonisch unter 06341 2870) zu melden.

Kaplan Stefan Häußler geht in seiner Sonntagspredigt auf die Tat ein:

Liebe Schwestern und Brüder in Christus,

aus gegebenem Anlass heute eine etwas andere Art von Predigt. Was ich ihnen heute eigentlich sagen wollte, das war schon fertig. Ich hätte über das Brot gesprochen, das Jesus mit uns teilt. Aber statt dessen werde ich heute nicht für die Menschen predigen, die hier sind, sondern für den Menschen, der unser Kirchenportal besprüht hat.

Keine Ahnung, ob du das siehst. Wahrscheinlich nicht, aber wer weiß. Vielleicht bist du ja neugierig und willst mal schauen, wie sich die Leute von der Kirche über deine Aktion aufregen. Ich habe so ein Bild vor Augen, wer du bist. Vielleicht liege ich mit manchen Details daneben, aber ich vermute, dass doch manches zutrifft. Du bist jung und du bist wütend. Du stammst wahrscheinlich aus einer ziemlich bürgerlichen Familie, und das ist dir ein bisschen peinlich. Du studierst vermutlich hier in Landau und willst lernen, wie du die Welt verändern kannst. Zugleich macht dir dein Studierendenleben manchmal ein schlechtes Gewissen. Denn eigentlich lehnst du Privilegien ab und fühlst dich den Menschen verbunden, die in unserer Welt ausgebeutet und verachtet werden. Gerade die sind dir aber zugleich fremd und sogar ein bisschen unheimlich, weil sie sich mit den Fragen, die dich umtreiben, oft gar nicht beschäftigen. Und vielleicht sogar politisch ganz anders ticken als sie deiner Meinung nach sollten. Du erklärst das dadurch, dass sie verblendet sind von der ganzen kapitalistischen Propaganda und dem Konsumterror. Und deswegen hältst du es vielleicht mit Pierre Bourdieu, den du bestimmt an der Uni gelesen hast, und willst zur Avantgarde gehören. Zu den Leuten, die vorangehen und das richtige Bewusstsein schaffen. Dafür bist du auch bereit, etwas zu wagen, notfalls auch kaputt zu machen, was die Welt kaputt macht, wie du glaubst. Du hast das alles mit deinen Freundinnen und Freunden gründlich besprochen und diskutiert, und ihr seht euch als Antifaschisten in einer Welt, in der der Autoritarismus immer weiter wächst. Die Ausbeutung und der Sexismus und Rassismus und die Homophobie scheinen einfach nicht aufzuhören. Irgendwie scheint kaum jemand auf deiner Seite zu sein, alles ein Einheitsbrei von Leuten, die immer nur mitlaufen und nie nachdenken. Und das frustriert dich.

Warum glaube ich, das alles über dich zu wissen? Ich glaube das zu wissen, weil ich nicht immer ein Priester in einem seltsamen Gewand war. Ich war dir in deinem Alter gar nicht so unähnlich. Und wenn die Leute aus der Gemeinde hier mich sehen und erleben könnten, als ich 17, 18, 19 Jahre alt war, dann würden sie sich sehr wundern. Ich habe meinen Unmut, meinen Zorn, meine Unzufriedenheit auch gelebt, so wie du. Man sah das äußerlich, an einem damals noch hageren jungen Mann mit langen Haaren und Nickelbrille, mit Springerstiefeln und allerlei Ohrringen, mit der schwarzen Lederjacke mit den Antifa-Aufnähern. Ich war auch auf den Demos, und ich habe die passenden Flugblätter verteilt und eigentlich nur aus Zufall nie was kaputt gemacht, wäre dazu aber durchaus bereit gewesen. Deswegen erinnere ich mich noch, wie sich dein Leben anfühlt.                     

Warum erzähle ich dir das, auch auf die Gefahr hin, dass manche aus der Gemeinde das vielleicht seltsam finden. Ich erzähle dir das, weil ich will, dass du klüger wirst! Und klug werden heißt zu aller erst, die Welt mit offenen Augen realistisch sehen. Klug werden heißt Illusionen und Vorurteile ablegen.

„Kein Gott“ hast du mit roter Farbe groß auf unser Kirchenportal gesprüht, und ich frage dich: was soll das? Willst du damit gegen die Macht des Klerus kämpfen, der sich mit den Unterdrückern verbündet hat? Gegen die Kirche, die mit ihrer falschen Ideologie die Menschen in einem Halbschlaf hält und an der Revolution hindert? Was soll denn dieser Unsinn? Das sind alles Klischees aus dem vorletzten Jahrhundert. In Wahrheit sind wir doch gar keine Macht mehr, und unser Einfluss schwindet von Jahr zu Jahr. Und woher hast du überhaupt die Idee, wir stünden auf der falschen Seite, wie du offenbar glaubst?

Wir sind eine Gemeinschaft von Menschen, die an Gott glauben. Das kommt dir albern vor. Du meinst wahrscheinlich, dass wir uns alle nach einem großen Chef sehnen, nach einem mächtigen Bestimmer, dem wir willenlos gehorchen dürfen. Du glaubst uns zu kennen und du meinst, dass wir alle einen Knacks haben und deswegen unterwürfig und autoritätshörig sind.

Deswegen beschmierst du unsere Kirche. Aber das ist sehr dumm von dir, denn du hast keine Ahnung von uns und dem, was uns bewegt. Ja, wir glauben an Gott, den Gott, der uns alle geschaffen hat. Der wollte, dass wir leben. Der die Niedrigen erhöht und die Mächtigen vom Thron stürzt. Und wir glauben das, weil wir spüren, dass diese Welt sich selbst nicht genügt. Weil wir eine Sehnsucht im Herzen haben nach einer besseren Welt. Einer Welt, in der Menschen nicht zufällig nebeneinander leben und sterben und sich manchmal einfach sterben lassen. Wir spüren, dass alle Menschen Geschwister sind. Dass wir alle verbunden sind, und dass wir gewollt sind, und dass wir geliebt sind.

Wir sind Menschen mit Fehlern, und wir tragen ein Erbe der Kirche mit uns herum, dass uns manchmal auf falsche Wege geführt hat. Autoritäre Wege, Wege, auf denen die Kirche sich bei den Mächtigen angebiedert haben. Wege, auf denen Macht missbraucht worden ist. Und natürlich ringen wir mit diesem Erbe, bis heute, wir kämpfen damit. Und das ist wahrscheinlich alles, was du über uns weißt. Aber das ist nicht das, was uns ausmacht.

Du hast dir einen Ort für deinen Protest gesucht, von dem du glaubst, er stehe für Macht und die Unterdrückung. Du solltest aber klüger sein. Die Macht und die Unterdrückung wohnen schon lange nicht mehr in Palästen und Kirchen. Die Macht und die Unterdrückung wohnen in ungerechten Strukturen, sie wohnt in der Herzenskälte des Alltags, sie wohnt in der Blindheit, die sich die falschen Feinde sucht und belämpft. Die Macht und die Unterdrückung wohnen an keinem sichtbaren Ort. Sie wohnen, und das wissen wir Christinnen und Christen sehr genau, im Leben der Menschen. Die Macht und die Unterdrückung wohnen in der unerfüllten Sehnsucht nach dem besseren Leben, einer Leere, die viele durch Konsum zu füllen versuchen. Die Macht und die Unterdrückung wohnen in der Angst der Menschen voreinander, die sie durch Abschottung und Feindschaft zu betäuben versuchen. Die Macht und die Unterdrückung, die dich so quälen, wohnen in der Blindheit, mit der Menschen dem Schmerz und dem Leid begegnen.      

Und weil wir Christinnen und Christen das wissen und spüren, deswegen halten wir unserem Gott die Treue, durch alle unsere Fehler hindurch. Dem Gott der Geschwisterlichkeit. Dem Gott, der in Jesus Christus, wie wir glauben, sogar selbst unser Bruder geworden ist. Und aus diesem Gott leben wir. Durch diesen Gott hoffen wir. Und dieser Gott inspiriert uns jeden Tag aufs Neue. Was wir daraus machen, ist oft ganz unvollkommen, das stimmt. Aber wir geben uns Mühe. Wir vergeben. Wir helfen. Wir teilen. Wir leiden mit. Wir bemühen uns um ein Leben, das Jesu Liebe zu uns und seinem Vorbild immer besser gerecht wird. Das sind wir.

Wir werden uns sicher in vielen Fragen nicht einig werden. Aber wenn du klüger wärst, würdest du sehen, dass wir in Wahrheit einander näher sind als du denkst. Weil wir auch unzufrieden sind mit dieser Welt. Weil wir auch glauben, dass es besser geht, das Leben miteinander. Weil alle, die nicht gleichgültig sind gegen das Leid in dieser Welt, sondern eine Unruhe, eine Sehnsucht, ein Feuer im Herzen haben, so wir wir und wie du, einander suchen sollten, und nicht schädigen. Also: wenn du das siehst, dann mach deine Augen auf. Und werde klüger!

Die Predigt finden Sie auch auf dem YouTube-Kanal marienkirchelandau:
Gottesdienst am 17. Sonntag (youtube.com)